Die Geschichte der Berliner Fotografenateliers

Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts entstand ein völlig neuer Treffpunkt des gesellschaftlichen Lebens: das Fotografenatelier. Wie in anderen Metropolen Europas und vielen Städten Deutschlands, siedelten sich auch in Berlin in stetig zunehmender Zahl Ateliers an, die durch Porträtaufnahmen das wachsende Selbstbewusstsein der Bevölkerung befriedigten. Hier ließ sich ein breites Publikum, das aus allen Gesellschaftsschichten kam, ablichten. Möglich wurde das nicht zuletzt durch die Verbreitung des preisgünstigen Verfahrens der Erstellung von kleinformatigen Cartes de Visite. Das zusätzliche Angebot der Ateliers entsprach dem Interesse an bleibenden Eindrücken der umgebenden Welt über das Medium der Fotografie. Die Fotografenateliers waren bald über die gesamte Stadt verteilt. Ihre erstaunlich große Anzahl spiegelt sich in den Angaben auf den erhaltenen Arbeiten wider.

Fotografie eines Mannes mit Mädchen aus dem Atelier Robert Wallich
Atelier Robert Wallich, Privatslg

Babyfotografie des Ateliers Gebrüder Beyer
Atelier Gebrüder Beyer, Privatslg

Auf alten Architekturaufnahmen fallen, den Bedingungen der zeitlichen Aufnahmetechnik entsprechend, die auf intensive Helligkeit angewiesen war, die Glasaufbauten der Geschäftshäuser auf. Als Kunstlichtaufnahmen die ältere Technik ablösten, siedelten sich die Ateliers auch in unteren Etagen an. Zwischen 1870 und 1880 dominierten in Berlin mit Abstand vier Straßenzüge als bevorzugte Adressenstandorte: Unter den Linden, Friedrichstraße, Leipziger Straße und Oranienstraße.

Viele Künstler versuchten am wirtschaftlichen Aufschwung des neuen Gewerbes teilzuhaben und wechselten in den Fotografenstand. Die häufig mittelständischen Kleinbetriebe nahmen stetig zu und konkurrierten stark miteinander. Wer auf dem Markt überleben und gut verdienen wollte, benötigte eine breite Kundschaft, gute Ideen und musste dem Kunden, neben vielen Annehmlichkeiten, ein gefälliges Bild liefern. Um die Kundschaft zu locken, spezialisierten sich einige Ateliers auf unterschiedliche Bereiche, wie Theater- oder Kinderfotografie oder auch Tieraufnahmen.



Die Atelierfotografen boten auch andere Motive und Themen zum Kauf an. Dazu gehörten Kunstreproduktionen oder Ansichten der Sehenswürdigkeiten Berlins, bei der die Stereofotografie zu einer beliebten Betrachtungsweise wurde. Als Beispiel


Sterefotografie aus dem Atelier J. F. Stiehm
Atelier Fec J. F. Stiehm - Verl. v. Sophus Williams, Privatslg


können die am Ende der 1870er Jahre entstandenen Serien von Ansichten der Mittelpromenade der Straße Unter den Linden von Johann Friedrich Stiehm dienen, dessen Arbeiten auch von anderen Firmen vertrieben wurden. Durch die entstehende Nachfrage gründeten sich erfolgreiche Kunst- und Fotografieverlage.



Ein interessanter Aspekt ist die Werbung und Reklame, womit die Ateliers auf sich aufmerksam machten. Werbeschriftzüge der Ateliernamen zierten die Fassaden zur Straße, selbst wenn sich ein Atelier im Hofgebäude befand. Zahlreiche Schautafeln mit Porträts berühmter Personen flankierten die Geschäftszugänge, Litfaßsäulen wiesen auf Geschäftseröffnungen hin oder Sonderaktionen versprachen Extraleistungen unterschiedlichster Art. Die unmittelbare Selbstdarstellung des Fotografengewerbes wird ebenfalls durch die immer reichhaltiger werdende Gestaltung und Illustration der Rückseiten der "Photographie-Karten" sichtbar. Auf diesen Rückseiten befinden sich zahlreiche Hinweise, wie bestimmte Vorzüge des Ateliers hinsichtlich seiner Lage, Erreichbarkeit und Beschaffenheit, Annehmlichkeiten der Aufnahmemöglichkeiten und weitere Leistungen, Spezialitäten, Auszeichnungen des Geschäftes, wie beispielsweise Hofprädikate und Preismedaillen des Lichtbildners.

Rückseite einer Carte de Visite vom Atelier Th. Wenzel
Atelier Th. Wenzel, Privatslg

Fotografie eines Mannes in Uniform aus dem Atelier Ernst Milster
Atelier Ernst Milster, Slg VGB

Die Ausstattung und Aufnahmemoden der Berliner Ateliers in den verschiedenen Stadtquartieren, die in erhaltenen fotografischen Quellen zu finden sind, belegen nicht nur sich wandelnde Formen der Selbstdarstellung, sondern lassen auch eine unterschiedliche Klientel erkennen. Vorwiegend wurden die Porträtierten in ihrer besseren Garderobe, dem "Sonntagsstaat", abgelichtet. Doch das äußere Erscheinungsbild der Kundschaft kann ebenfalls Hinweise auf eine gesellschaftliche Herkunft vermitteln. Berliner Einwohner und Besucher aus der Provinz werden so gleichermaßen in ihrem Aussehen auch mehr als 100 Jahre später erfahrbar.

Auch über das Interieur der Aufnahmeräume geben die in großer Anzahl erhaltenen Porträtfotografien Auskunft. Die Zusammenstellung dieser Interieurs dürfte überall recht ähnlich ausgefallen sein, wenn auch die künstlerische Gestaltung unterschiedlich luxuriös sein konnte. Gemalte Kulissen, Vorhänge, Mobiliar oder Architekturelemente prägten das Ambiente.


In den Fachzeitschriften erschienen Schilderungen der Ateliers, die auch die Beschreibung der Arbeitsräume und deren Bedingungen nicht ausließen. Aus dem Katalog der Weltausstellung 1873 in Wien weiß man, wie viele Ateliermitarbeiter einige der Berliner Fotografen zu dieser Zeit hatten: Carl Suck beschäftigte sechs Personen, E. Lucke und Fischer sieben, Theodor Prümm verfügte über zehn, Gustav Schauer über vierzehn und E. Linde gar über zwanzig Mitarbeiter im Atelierbetrieb. Diese Zahlen nahmen bis zum Ende des Jahrhunderts noch zu.

Das Ergebnis der studentischen Projektgruppe betrug allein für den Zeitraum von 1870 bis 1890 mehr als 800 Namen für die Berliner Situation. Alle Jahrzehnte ab 1850 eingeschlossen, kann man bis 1900 wahrscheinlich von weit mehr als 1000 Ateliers in der Stadt ausgehen. Die umfassende, lexikalische Datenbank des Projektes wird abschließend Berliner Institutionen mit Fachsammlungen zur Verfügung gestellt.

Fotografie einer jungen Dame aus dem Atelier Junk & Schultz
Atelier Junk & Schultz, Privatslg